Forschung Baugeschichte und Architekturtheorie
Bildgebrauch im Architekturentwerfen
Prof. Dr. Eva Maria Froschauer
Ausgangspunkt der Untersuchung ist die Frage, wie sich die ‚Entwurfsfähigkeit‘ von Bildern, die als gesammelte, vorbildliche Referenzen in den Designprozeduren der Architektur häufig zur Anwendung kommen, feststellen, untersuchen und systematisieren lässt. Untersuchungsgegenstände sind historische Fallbeispiele und dabei deren Bildgebrauch, die Anlage, die Strukturierung und die Nutzung von Bildersammlungen beim Entwerfen, welche unter dreierlei Prämissen beobachtet werden können: Blättern, Flanieren, Browsen – als inspirative und kognitive Praxis; Sammeln, Ordnen, Vergleichen – als konstitutive Praxis; Eingreifen, Verändern, Neuschaffen – als künstlerische Praxis.
Das Forschungsprojekt soll sich einem Aspekt des Re-Use widmen, dem fachspezifischen, fallbeispielbasierten Bildgebrauch im Entwerfen, der mit wiederkehrenden Motiven arbeitet. Denn es zählt zu den überzeitlichen Methoden künstlerischer, architektonischer, also entwerfender Praxis, dass Bilder Mittel und Werkzeuge sind, um begründete Referenzen herzustellen und konzeptionell zu verarbeiten. Doch unterscheiden sich die Grade des Bekenntnisses zum (Vor-)Bild als Referenz und als Entwurfsgrundlage zu unterschiedlichen Zeiten deutlich.
Heute sind es vor allem digital produzierte und/oder verfügbare Bilder, die in allen Entwurfs- und Bauphasen eine Rolle spielen. Bilder - als vorgängige, begleitende, vermittelnde sowie die Rezeption steuernde Referenzen - werden in frühen Entwurfsstadien als Inspirationsmittel oder Formanreger genutzt, sie erzeugen Vorstellungsräume und dienen als wichtiges Werkzeug zur Überzeugung der Auftraggeber*innen und der Öffentlichkeit.
Internationaler Kanon und seine nationalen Umschreibungen
Gábor György Papp, PhD
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurde in vielen mitteleuropäischen Staaten der Anspruch formuliert, einen eigenen ‚Nationalstil’ zu etablieren. Die Architektur sollten dabei einem ‚neuen und patriotischen’ Kanon, entwickelt aus der Erzähl- und Formensprache des Historismus, folgen. Die Quellen dieses neuen Kanon waren unter anderem lokale Baudenkmäler und Gedenkstätten, die dazu genutzt wurden, ‚nationale Stile’ zu begründen. So bezeichneten beispielsweise ungarische Architekten und Theoretiker während des Wettbewerbs zum Entwurf des Palastes der Akademie der Wissenschaften den gotischen Stil als absolut identisch mit dem ‚einheimischen Charakter’. Und als die tschechischen Architekten Ignac Ullmann und Antonin Wiehl ein genuines tschechisches Architekturmerkmal formulieren wollten, wählten sie statt der Neorenaissance, dem Stil der deutsch-tschechischen Klubhäuser, die sogenannte tschechische Renaissance als ‚einheimischste’ Architekturform. Damit spielte im Prozess der Herausbildung nationaler Architekturstile die mitteleuropäische Spätrenaissance eine sehr interessante Rolle, das sie vielerorts als ideale Quelle für einen jeweils eigenen ‚Nationalstil’ galt.
Das Forschungsprojekt hinterfragt damalige Grenzen, Bemühungen und Probleme, die mit den Versuchen verbunden waren, mit Neo-Stilen ‚neue nationale Architekturen’ zu formulieren, vor allem vor dem Hintergrund einer gemeinsamen europäischen Architekturtradition.
Gábor György Papp arbeitet am Forschungsinstitut für Kunstgeschichte der ELKH (ehem. MTA) in Budapest. Von September bis November 2021 war er DAAD-Stipendiat an der BHT in Berlin und hat das Projekt „Erfindung eines deutschen Baustils – deutsche Architekturzeitschriften und die Idee einer Nationalarchitektur” bearbeitet.
»Protorenaissance« und Leon Battista Alberti zur Halbzeit der Moderne
Gastprof. Dr. habil. Berthold Hub
Das Forschungsprojekt fragt, ausgehend vom Fall dreier Wiener Architekten, erstmals in komparatistischer Perspektive nach den Gründen, Kontexten und Konsequenzen der Auseinandersetzung mit der Toskanischen bzw. Florentiner »Protorenaissance« und Leon Battista Alberti im Jahrzehnt vor dem 1. Weltkrieg. Dabei sollen die Ausbildung der Architekten, ihre Reisen nach Italien und insbesondere nach Florenz dokumentiert und rekonstruiert, den möglichen Kontakten mit den ausländischen historischen und kunsthistorischen Instituten einerseits und mit den italienischen Architekten und der italienischen Kunstgeschichtsschreibung andererseits nachgegangen sowie die mediale Vermittlung der Bauwerke erkundet werden, bevor schließlich nach der Bedeutung der Inkrustationsarchitekturen der sog. »Protorenaissance« und des Leon Battista Alberti sowie seines architekturtheoretischen Werkes für die architektonische und publizistische Tätigkeit zur »Halbzeit der Moderne« (Klaus-Jürgen Sembach) gefragt wird. Durch die Erforschung der bisher wenig beachteten Rezeption der Frührenaissance zu Beginn des 20. Jahrhunderts soll ein Beitrag zur Rekonstruktion der genetischen Evolution der Moderne geleistet werden, die sich dann nach dem 1. Weltkrieg als ›geschichtslos‹ generieren sollte.
Die enge Perspektive des Projektes auf das Interesse für die toskanische Protorenaissance und Leon Battista Alberti soll zu einem späteren Zeitpunkt auf die Untersuchung von Architektenreisen des 20. Jahrhunderts insgesamt und ihre Bedeutung für die Entwicklung der Moderne und der Postmoderne (i.w.S.) ausgeweitet werden.
Die Geschichte der Fassade. Bildatlas | Versuch einer Phänomenologie
Prof. Dr. Martin Kieren
Der Forschungsgegenstand betrifft die Bildhaftigkeit und Symbolhaftigkeit dessen, was wir gemeinhin die Fassade eines Hauses nennen. Die Bildmomente – erzeugt vom plastisches Relief resp. dem Gesamtlineament –, die hier wirksam werden, werden sowohl gespeist aus inneren Kräften wie Grundrissfigur, Struktur, Konstruktion und Gebäudetypus als auch von äußeren Kräften wie dem Kontext, dem Stand der Technik, den kulturellen Codes und dem künstlerischen Vermögen des Architekten. Der erste Teil des Forschungsfeldes zielt auf einen kommentierten Bildatlas der systematisch eine typologische Ordnung herstellt und die historisch entscheidenden Momente der (Geschichte der) Fassade gleichsam morphologisch entwickelt. Dieser Atlas folgt den Themen Typus und Nuance, Regel und Abweichung, Ähnlichkeit und Differenz. Der zweite Teil versucht nachzuzeichnen, wie sich im 20. Jahrhundert unter dem zunehmenden Einfluss benachbarter Künste diese Bildmomente nicht mehr den der Architektur eigenen Referenzbildern sondern – unter anderem – eben denen der Bildenden Kunst, der Bildhauerei und, gegenwärtig, der Screenart, entnommen werden.